Innovationspreis zur med.Logistica: Mensch steht im Mittelpunkt
Menschenzentriert, harmonisch, multiprofessionell, transparent und ressourcenschonend: Mit dem 4. Leipziger Innovationspreis für Krankenhauslogistik wurden heute auf der med.Logistica 2023 (16. und 17. Mai 2023) zwei herausragende Projekte zur Digitalisierung und Automatisierung logistischer Prozesse aus dem Universitätsklinikum Tübingen (Deutschland) sowie dem Stadtspital Zürich (Schweiz) ausgezeichnet, die ihre Feuertaufe im Klinikalltag erfolgreich bestanden haben. Zudem wurde der Nachwuchspreis Thesis Award für eine wegweisende Masterarbeit zum Thema Lagerverwaltung verliehen.
Der mit 6.000 Euro dotierte, zum vierten Mal vergebene Leipziger Innovationspreis würdigt in diesem Jahr die Projekte "Innovative Medizinlogistik: digital, nachhaltig und mit den Menschen im Mittelpunkt" des Universitätsklinikums Tübingen (UKT), das einen Green-Logistic-Ansatz verfolgt, sowie "Automatisiertes Transportsystem – Automated Mobile Robot (AMR)" des Stadtspitals Zürich, welches autonome Robotik einsetzt. "Beide Preisträger überzeugen gleichermaßen auf sehr unterschiedlichen Gebieten, weshalb wir uns in diesem Jahr für eine zweifache Erstplatzierung entschieden haben", erklärt Jurysprecher Prof. Dr.-Ing. Hubert Otten, Leiter des Competence Centers eHealth und Professor für Technische Systeme, Betriebsorganisation und Logistik in Einrichtungen des Gesundheitswesens an der Hochschule Niederrhein.
UKT: Multiprofessionell, harmonisch und nachhaltig
Mit dem zwischen 2018 und Oktober 2022 realisierten Projekt "Innovative Medizinlogistik: digital, nachhaltig und mit den Menschen im Mittelpunkt" habe das UKT ein hohes Maß an Harmonisierung und Standardisierung von Prozessen und Systemen sowie ein Höchstmaß an Vernetzung erreicht, unterstreicht Prof. Otten. "Damit wird eine tolle Transparenz in allen Bereichen erzielt, bei der sich Prozesseffizienz, -geschwindigkeit sowie -qualität nutzbringend auswerten und verbessern lassen."
Die Digitalisierungs- und Logistikstrategie des Universitätsklinikums Tübingen basiere auf der Medizinstrategie des Hauses und nehme klinikums- und berufsgruppenübergreifende Aspekte ganz besonders in den Fokus, ergänzt Prof. Dr. Dr. Martin Holderried, Geschäftsführer Zentralbereich Medizin: Struktur-, Prozess- und Qualitätsmanagement des Klinikums. "Sämtliche Ressourcen zur richtigen Zeit, in der richtigen Zusammensetzung, in bester Qualität, zum optimalen Preis, mit dem geringstmöglichen Ressourcenkonsum, im richtigen Kontext und am richtigen Ort für die Gesundheitsversorgung unserer Patientinnen und Patienten bereitzustellen – dieses übergeordnete Ziel haben wir umgesetzt", so Prof. Holderried. "Besonders wichtig war die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams aus Medizin, Pflege, Logistik, Qualitäts- und Risikomanagement, Hygiene, IT, Controlling und Verwaltung. Mit diesem Know-how und gemeinsam mit unseren Partnern aus der Industrie gestalten wir die Logistik von morgen: Wir haben die Chancen der Digitalisierung genutzt und auf maximale Skalierbarkeit geachtet, um Nachhaltigkeit im ökologischen, ökonomischen und sozialen Sinn zu schaffen."
100.000 Blatt Papier gespart
Die Kommunikation – also die Übermittlung der Informationen von A nach B – sei auf eine einheitliche IT-Basis gestellt und damit für deutlich mehr Transparenz und Qualität gesorgt worden, wie Prof. Holderried betont: So seien sämtliche Prozessschritte rund um die OP-Versorgung digital abgebildet worden und jederzeit visualisierbar. "Wir können nicht nur genau analysieren, welche Siebe für welchen Eingriff benötigt werden. Wir konnten auch die Modellvielfalt der Instrumente optimieren, die Instrumentenzahl insgesamt um rund 25 Prozent und das Aufbereitungsaufkommen um etwa 15 Prozent reduzieren." Die OP-Planung, die Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte und das OP-Management haben laut Prof. Holderried immer einen vollumfänglichen Überblick über den Status sämtlicher für die Operationen benötigten Ressourcen. Dies vermeide Arbeitsspitzen und Staus, minimiere Warte- und Leerzeiten. Gleichzeitig wurde das Personal von interner Bürokratie entlastet: "Vorher gingen im Schnitt 50 Faxe pro Tag für Sieb- und Materialbestellung hin und her und es wurde circa vier Stunden am Tag telefoniert. Der digitale Weg spart mindestens 100.000 Blatt Papier pro Jahr und unseren Fachkräften viel Zeit – das erhöht die Arbeitszufriedenheit signifikant", so Dr. Tobias Anton Schneider, Geschäftsbereichsleiter Betrieb und Logistik am Universitätsklinikum Tübingen.
Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf sei die Angleichung der gesamten Prozess- und IT-Landschaft im Klinikum, erläutert Prof. Holderried. Die durchgängige Arbeit mit mobilen Geräten samt Etablierung digital auslesbarer Barcodes und das automatisierte Bluetooth Asset Tracking gewährleiste das perfekte Zusammenspiel der Versorgungsprozesse der Patientinnen und Patienten mit der Logistik, ergänzt Dr. Schneider.
Demnächst noch "grüner" mit KI
"Wir sind noch lange nicht am Ende, lernen permanent dazu und entwickeln unsere Prozesse ständig weiter", sagt Prof. Holderried. Geplant sei die weitere Integration von Künstlicher Intelligenz (KI), um noch nachhaltiger zu arbeiten und den Green-Logistic-Ansatz weit umfassender zu verwirklichen. Damit solle zum Beispiel die Aufbereitung von OP-Instrumenten noch zielgerichteter auf den Bedarf der jeweiligen Operation angepasst werden. "Für diese Vorhaben und die Weiterentwicklung des Green-Logistic-Konzepts im Rahmen unserer Kooperation mit der Universität Hohenheim verwenden wir das Preisgeld. Unser ganzes Team freut sich riesig, dass unsere Arbeit durch diesen renommierten Preis evaluiert und anerkannt wurde. Wir geben unser Wissen gern weiter und stehen für den Erfahrungsaustausch mit anderen Kliniken zur Verfügung."
Stadtspital Zürich: Neue Wege für Roboter
Inspirierend sei auch das gleichermaßen preisgekrönte Projekt "Automatisiertes Transportsystem – Automated Mobile Robot (AMR)" des Stadtspitals Zürich, sagt Jurysprecher Prof. Otten. "Die autonomen Transportroboter fahren sogar in die Bereiche, in denen Patientinnen und Patienten unterwegs sind. Stoßen sie auf ein Hindernis, suchen sie eine alternative Route. Aufgrund ihrer fortschrittlichen Sensorik sind die programmierbaren Maschinen nicht ausschließlich auf Umgebungen mit eingewiesenen Personen angewiesen. Sie sind in den normalen Aufzügen anzutreffen, die neben dem Krankenhauspersonal auch von Patientinnen und Patienten sowie Besuchenden genutzt werden. Das ist clever, smart und ein absolutes Novum! Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten, Roboter in Bestandsgebäuden einzusetzen, ohne zum Beispiel neue Aufzüge und Extrawege im Untergeschoss schaffen zu müssen."
Logistik im Nachtbetrieb
Die Versorgung der Stationen finde bei diesem AMR-System vor allem nachts statt, wenn nicht so viele Leute unterwegs und die Aufzüge wenig frequentiert seien, wie Prof. Otten beschreibt. "Das gab es bisher nicht, dass fahrerlose, nicht schienengebundene Transportsysteme dort aktiv sind, wo sich Patientinnen und Patienten sowie Besuchende aufhalten. Nicht zuletzt entlastet es das Personal, wenn die Roboter nun auf der Station direkt bis zum Übergabeort fahren und nicht in einem vorgelagerten Bereich, der für nicht eingewiesene Personengruppen gesperrt ist, verbleiben." Er gehe davon aus, dass diese Innovation von der Schweiz aus in die gesamte deutschsprachige Krankenhauslandschaft und darüber hinaus ausstrahle und Nachahmer finden werde.
"Wir brauchten eine kreative Lösung für die hohe und weiterwachsende Komplexität der Warenströme, verbunden mit einer Verdichtung der Räume, mit denen wir es im Stadtspital zu tun haben", berichten Michael Zuber, Bereichsleiter Logistik & Services, und Ray Müller, Projektleiter Logistik & Services, vom Stadtspital Zürich, einem Zentrumsspital mit vier Standorten und 4.238 Mitarbeitenden. Ansatzpunkt sei die Inbetriebnahme des sanierten Turmgebäudes des Stadtspitals Zürich Triemli im Juni 2022 gewesen. "Damit musste ein weiteres Bauwerk mit 24 Stockwerken in die bestehende Logistikstruktur des Kernspitals integriert werden. Weil die Korridore und Liftanlagen tagsüber bereits stark frequentiert werden, waren für die Ver- und Entsorgung der medizinischen Verbrauchsmaterialien von 19 Ambulatorien und fünf Büroetagen im Hochhaus neue Ideen gefragt." Daraus sei das Konzept der autonomen Nachtshuttles entstanden. Fand die Logistik bis dahin von 7.00 bis 17.00 Uhr statt, wanderte sie nun in den Nachtmodus.
Ergebnis überzeugt
Bis zur erfolgreichen Implementierung habe es 2,5 Jahre gedauert, so Zuber und Müller. "Im Ergebnis konnten wir die bestehenden Transportstrukturen entlasten. Für die logistische Versorgung der zusätzlichen Etagen müssen wir kein zusätzliches Personal einsetzen – bei jederzeit gewährleisteter Versorgungssicherheit." Vier autonome Transportroboter (AMR) seien im Einsatz, Maximalgeschwindigkeit 0,8 m/s (ca. 3 km/h) und ein Bremsweg im Zentimeterbereich. "Während zuvor am Tag A bestellt, am Tag B kommissioniert und transportiert sowie am Tag C alles eingeräumt und verfügbar war, werden jetzt die am Tag A bis 16.00 Uhr bestellten Produkte schon am Folgetag (Tag B) bis 6.00 Uhr geliefert. Gab es zuvor hohe Wartezeiten an den Liften und ressourcenintensive Transporte, gibt es nun nachts freie Fahrt, autonom und ohne Personal", heben Zuber und Müller hervor.
Die Akzeptanz der Mitarbeitenden hätten die "Kollegen Roboter" jedenfalls gewonnen: "Sie haben erkannt, dass die Maschinen sie tatkräftig unterstützen. Jeder Warentransport, der vom Tagesbetrieb in die Nacht verlegt werden kann, ist ein Gewinn für die Organisation. Wir geben unsere Erfahrungen gern weiter." Allerdings müsse die Infrastruktur sich grundsätzlich eignen, zum Beispiel brandschutzgerechte Fluchtwege und eine nutzbare IT-Systemlandschaft vorhanden sein. "Wichtig ist ein allseitiger und schnittstellenübergreifender gemeinsamer Wille, Robotertechnologien anzuwenden – aber diese ebenso kritisch zu hinterfragen." Der Gewinn des Leipziger Innovationspreises sei ein Ansporn: "Die Ausweitung der autonomen Robotertransporte auf weitere Logistikbereiche innerhalb des Stadtspitals Zürich ist initiiert. Diese Würdigung unserer Arbeit unterstützt uns enorm in der Argumentation weiterer innovativer logistischer Lösungen für die Zukunft."
Thesis Award: Frische Ideen für die Prozessoptimierung
Ebenfalls zum vierten Mal wurde der mit 1.000 Euro dotierte Thesis Award für eine herausragende studentische Abschlussarbeit verliehen: Raphael Schmillenkamp erhielt ihn für die Masterarbeit "Auswahl eines anforderungsgerechten Lagerverwaltungssystems für ein Krankenhaus der Maximalversorgung". "Das Thema Lagerbewirtschaftung und -verwaltung hat im Zuge der Lieferengpässe und Lieferkettenprobleme seit der Corona-Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen. Viele Krankenhäuser rüsten in dieser Beziehung auf, suchen geeignete Lösungen und Raphael Schmillenkamp hat für diese Entscheidungsfindung eine Systematik auf der Grundlage von Kennzahlen für ein Haus der Maximalversorgung entwickelt", so Prof. Otten. Die Gewinnerarbeit ist als Posterpräsentation auf der med.Logistica zu sehen.
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